Kritik an der WM

Schauen oder nicht schauen? – Ein Kommentar zur Fußball WM in Katar

ein fußball wird von einem spieler, dessen stollenschuhe nur nichtbar sind über einen platz getreten
Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gerät durch negative Schlagzeilen in den Fokus der Medien.

Am Sonntag ist es so weit: Mit einer glanzvollen und feierlichen musikalischen Show soll sie eröffnet werden, die Fußball Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Doch der Schein trügt. Kaum eine andere Fußball WM ist so umstritten wie diese.

Kurz vor der Eröffnungsfeier und dem ersten Spiel des Turniers, Katar gegen Ecuador, steht das Sportevent wie zu erwarten im Fokus der Medien und der Bevölkerung. Jedoch nicht, wie wir es kennen, weil sich unser Land in euphorischer Antizipation auf die Spiele der Nationalmannschaft freut. Ganz im Gegenteil: Eine negative Schlagzeile jagt die nächste. Diese WM steht nicht im positiven Licht, wird diskutiert und kritisiert. Und auch ich blicke der Sportveranstaltung sehr kritisch entgegen.

Diese Weltmeisterschaft wird ausgetragen in einem Land, das sich mit den Werten und Prinzipien demokratischer Gesellschaften nicht vereinen lässt. Da steht immer wieder im Raum: Wie konnte es passieren, dass ein Land als Gastgeber gewählt wird, in dem Menschenrechte ein Fremdwort sind, Homosexualität als „geistiger Schaden“ bezeichnet und Frauen mit Süßigkeiten verglichen werden?

Die Antwort liegt auf der Hand: Es ging ums Geld. Werte wie Vielfalt und Toleranz, Werte, die die FIFA sich auf ihre Fahnen schreibt, sind da augenscheinlich doch nicht so viel wert. Diese Tatsache kritisiert auch der Vfl Primstal, der uns auf Anfrage ein Statement zur WM in Katar hat zukommen lassen: „Die Vergabe der Fußball WM an Katar durch die FIFA war und ist ein Skandal. Ein Land auszuwählen, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, keinerlei Fußballhistorie besitzt, für den Aufbau der nicht verfügbaren Infrastruktur tausende Menschenleben geopfert hat, jahreszeitlich und klimatechnisch in kein Fußballsystem passt (..), ist unfassbar“.

Dass es im Weltfußball längst nicht mehr nur um Fußball geht und die FIFA sich mit Bestechung und Korruption bestens auskennt, ist kein Geheimnis. Im Internet findet man zahlreiche Dokumentationen, die das allein an der Vergabe dieser WM bestätigen. Einem Land, welches mit seinen Prinzipen weiter nicht weg sein könnte von den eigenen, eine Plattform zu geben, sich selbst zu inszenieren, geht selbst für die FIFA einen Schritt zu weit. Aber da sieht man, was sich mit Geld im Fußball alles kaufen lässt.

Und davon hat Katar offensichtlich genug. Für die WM mussten neue Stadien und eine Infrastruktur gebaut werden. Das soll über 100 Milliarden Euro und Untersuchungen von Amnesty International gemäß im Zeitraum von 2010 bis 2019 mehr als 15.000 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit das Leben gekostet haben.

Die lautstarke Kritik an dieser Weltmeisterschaft leugnet im Übrigen nicht das falsche Spiel, das bei der Vergabe der vergangenen Weltmeisterschaften gespielt wurde und die Missstände, die damit einhergingen. Auch wird dadurch nicht ignoriert, dass beispielsweise bei der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland Prinzipien „normal“ und Gesetze Realität waren, die unseren heutigen Standards nicht mehr entsprechen.

Dass die Aufmerksamkeit in der Debatte um die WM in Katar auf die vergangenen Weltmeisterschaften gelenkt wird, trägt, wie ich finde, nicht zur Lösung des Problems bei, das aktuell auf der Hand liegt. Es erinnert mich ein wenig an „Whataboutism“ – die anderen waren doch immerhin genauso schlimm. Wir können nicht die Fehler der Gegenwart mit den Fehlern der Vergangenheit rechtfertigen. Es werden aktuell Missstände aufgedeckt und kritisch diskutiert, die gerade jetzt aktuell sind und deren Kritik gerade jetzt die Chance bietet, nachhaltig etwas zu verändern.

Kann diese WM nachhaltig etwas verändern?

Die WM in Katar bietet auch was das Thema Nachhaltigkeit angeht mehr als genug Angriffsfläche für Kritik und Diskussionen. Die nigelnagelneuen Stadien wurden in den letzten zehn Jahren für diese WM in die katarische Wüste gestellt und vermutlich nach der WM wieder von der Wüste zurückerobert. Abgesehen davon tragen die Klimaanlagen, die sogar in den Stadien unter den Sitzen blasen, auch nicht zu einer positiven Klimabilanz bei.

Aber was, wenn diese Welle der Aufruhr über die Missstände innerhalb des Weltfußballs und des Gastgeberlandes Katar nach der WM nicht abebbt?

Unser Landrat Udo Recktenwald, der uns auf Anfrage auch ein Statement zur WM gegeben hat, zeigt sich dahingehend optimistisch: Solche Ereignisse rückten „das Gastgeberland ins Scheinwerferlicht und bieten damit auch der Kritik eine internationale Plattform und damit die Chance, auf Missstände hinzuweisen. Vielleicht wächst durch internationale Beobachtung Druck, sich stärker demokratisch weiterzuentwickeln. Insofern wird es notwendig sein, auch nach der WM den Blick auf Katar zu lenken“.

Und auch ich erlaube mir einen Funken Hoffnung dahingehend. Dass das Momentum dieser Situation und der Kritik nach der WM nicht beibehalten werden kann, steht für mich außer Frage. Dennoch kann es ein Schritt in die richtige Richtung sein, jetzt und auch nach der WM ein Zeichen zu setzen.

Das gesamte Statement des Landrats und des Vfl Primstals könnt ihr euch hier in voller Länge durchlesen.

Fehlt aber noch die Gretchen-Frage: Schauen oder nicht Schauen?

Unsere Leserinnen und Leser sind sich bei dieser Frage nicht einig. Viele sprechen sich klar dagegen aus, die Spiele zu verfolgen: „Eine Fußball-WM gehört nicht in ein Land wie Katar, und zwar aus mehreren Gründen…deshalb wird ignoriert!“ oder „Werde mir kein Spiel anschauen. Wenn man verfolgt was alles passiert ist (..) schaue ich mir lieber Weihnachtsfilme an und gehe auf den Weihnachtsmarkt was leckeres essen“. Der faule Beigeschmack dieser WM hat vielen den Appetit an Fußball verdorben.

Lassen wir die Tatsache außer Acht, dass diese WM für uns im Winter stattfindet und ein Sommermärchen-Feeling sowieso nicht ausbrechen kann, fehlt auch allgemein das altbekannte Fußballfieber. Sind wir mal ehrlich, ohne Public Viewings, ohne Fan-Artikel in den Geschäften und ohne Fahnen an Autos und Häusern, könnte doch so oder so keine Fußballeuphorie aufkommen.

Uns erreichen aber auch Nachrichten von Fußballfans, die sich klar dafür aussprechen, die Nationalmannschaft vor dem Fernseher zu unterstützen. Und auch wenn das, worum es bei einer Fußball WM eigentlich gehen sollte, in den Hintergrund geraten ist, freuen sich viele Leserinnen und Leser auf die Fußballspiele.

Als Fußballfan kann ich den Kommentar eines Lesers nachvollziehen: „Ich werde die WM schauen, wegen unserer Jungs“. „Unsere Jungs“, unsere Nationalmannschaft, sind immerhin in erster Linie Fußballspieler. Sie sind am Höhepunkt ihrer Karriere angekommen und haben hierauf ihr Leben lang hingearbeitet. Für sie sollte jetzt, an dem wohl größten Sportevent ihrer Karriere, eines im Fokus stehen: guten Fußball zu spielen und sich gut zu präsentieren. Für zahlreiche Fußballfans ist ganz einfach das, das Fußballschauen und Anfeuern das, worauf sie sich seit der letzten WM freuen.

Am Ende ist es jedem selbst überlassen, ob und wie er oder sie die Spiele verfolgen möchte oder nicht. Die Bevölkerung ist und bleibt zwiegespalten – wahrscheinlich bis kurz vor dem Anpfiff des ersten Deutschlandspiels. Wie viele wndn-Leserinnen und Leser vermeidet zum Beispiel auch unser Landrat diplomatisch eine Aussage darüber, inwieweit er das Turnier verfolgen wird.

Dass ich persönlich mich klar gegen die Machenschaften der FIFA und Katars positioniere, sollte in diesem Kommentar deutlich geworden sein. Dennoch verstehe ich Alle, denen eine Antwort auf die Frage Schauen oder nicht Schauen? schwerfällt.

Wie die Entscheidung auch aussehen mag, die Umstände dieser WM sollten stets kritisch überdacht und ins Bewusstsein gerufen werden. Letztendlich bleibt die größte Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit, die die Kritik an der FIFA und Katar aktuell hat, nicht nach der WM in der katarischen Wüste versickert, sondern in Zukunft wieder eine Fußball Weltmeisterschaft zulässt, bei der es wirklich nur um Fußball geht.

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