Am 5. April 1994 wäre mein Urgroßvater 110 Jahre alt geworden, stattdessen ist er am Sonntag, 26. August 2024, schon 110 Jahre tot. An jenem 26. August 1914 starb er im Kugelhagel französischer Maschinengewehre auf einer großen Wiese gut zweihundert Kilometer südlich seines Heimatortes Baltersweiler.
Mein Uropa Nikolaus Geiger stammte aus Grügelborn und war das älteste von neun Kindern. Wie sein Vater verdiente er seine Brötchen als Arbeiter im Neunkircher Eisenwerk. Wenn das flüssige Roheisen vom Hochofen zur weiteren Verarbeitung transportiert wurde, stand er hinten oder vorn auf dem Zug und gab mit einem Horn Signale, damit auf der 600 Meter langen Schienentrasse kein Unglück geschah.
1908 heiratete er Elisabeth Kirz in Baltersweiler, wo ihre vier Kinder zur Welt kamen: die Töchter Katharina und Johanna und die Söhne Walter – mein Großvater – und Erich. Dessen Geburt im Mai 1914 erlebte Nikolaus noch zu Hause. Weniger als vier Monate später war er tot, vermisst auf den Schlachtfeldern Frankreichs.
Für die Witwe Elisabeth und ihre vier Kinder begannen schwere Jahre. 1903 hatte das Ehepaar das elterliche Haus übernommen. Finanziell kam sie gut über die Runden, bis Nikolaus eingezogen wurde und in Frankreich verloren ging.
Ich habe vage Erinnerungen an Oma Lisa, eine hagere, weißhaarige Frau, die immer Schwarz trug. Und ich erinnere mich daran, dass sie in einem Zimmer ihres Elternhauses aufgebahrt wurde, wie das früher überall noch Brauch war. Bis zu ihrem Tode 1966 – 52 Jahre nach seinem Verschwinden – hat sie nicht erfahren, wo das Grab ihres Ehemannes lag. Nach ihrem Tod dauerte es noch einmal 36 Jahre, bis dieses Geheimnis gelüftet wurde.
Diese Geschichte fängt mit einer anderen Geschichte an. Erzählt hat sie ein Israeli namens Seev Kahn im Jahre 2000. Im Februar 1915 erhielt in St. Wendel in der Hospitalstraße 13 eine Frau namens Emilie Levy geb. Reinheimer die Nachricht, dass ihr Ehemann Max im Krieg gefallen sei. Ihre Tochter Lieselotte (geboren 1914) heiratete im Juli 1935 einen Rechtsanwalt aus Sankt Ingbert namens Rudolf Kahn. Levy, Reinheimer und Kahn waren Juden. Nachdem der Rechtsanwalt Berufsverbot erhalten hatte, wanderte er mit seiner Ehefrau 1939 nach Palästina aus, wo im Mai ihr Sohn Seev zur Welt kam. Der machte sich Ende des vergangenen Jahrhunderts auf die Suche nach dem Grab seines Großvaters Max und fand es mithilfe deutscher Historiker, die sich mit dem Ersten Weltkrieg befassten, nahe dem kleinen Ort Bertrimoutier in den Vogesen. Seev besuchte den Friedhof und fand das Grab. Über seine Suche mit all ihren Irrwegen und Erfolgen verfasste er einen Artikel und setzte ihn ins Internet, wo ich ihn kurze Zeit später fand. Ich nahm Kontakt mit ihm auf, und er brachte mich mit den Historikern zusammen, die wussten, wo sie suchen mussten, und binnen weniger Tage herausfanden, was unserer Familie in über achtzig Jahren nicht gelungen war: den Ort, wo mein Urgroßvater begraben liegt. Er fand seine letzte Ruhestätte in einem Massengrab auf demselben Friedhof wie Max Levy. Wie nennt man das? Zufall? Schicksal? Glück?
Ich habe mich oft gewundert, wieso 1914 zwischen Kriegsausbruch und Einberufung nur wenige Tage lagen. Als ich vor 30 Jahren zur Bundeswehr kam, dauerte die Grundausbildung drei Monate. In der Zeit wurde ich mit meiner Knarre, dem G3, relativ vertraut. Ich konnte es auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, zur Not auch im Dunkeln. Ich wusste, wie man damit zielt und schießt und wie man es sauber hält. Ich hatte Kasernenhofdrill hinter mir, konnte im Gleichschritt marschieren und kannte die gängigen Befehle. Und – ganz wichtig – ich konnte ohne fremde Hilfe die Kantine finden. Aber das alles braucht seine Zeit, das lernt man nicht von heute auf morgen (nun ja, die Kantine zu finden vielleicht schon).
Warum konnte man also Nikolaus vom Hochofen weg rekrutieren und darauf vertrauen, dass er wusste, was er wie anstellen sollte? Nun, weil man das so nicht gemacht hat.
In Preußen um die Wende ins 20. Jahrhundert wurde Nikolaus mit 20 militärpflichtig. Er meldete sich bei der Kommunalverwaltung und wurde in die Rekrutierungsstammrolle seines Heimatortes eingetragen. Über seine Verwendung entschieden die Ersatzbehörden. Durch einen Test und eine ärztliche Untersuchung entschied die Ersatzkommission, wer als tauglicher Wehrpflichtiger zum aktiven Dienst herangezogen wurde. Da es meist mehr Taugliche als Bedarf gab, wurde per Los entschieden, wer genommen wurde und wer nicht. Lose mit hoher Nummer bedeuteten Befreiung vom aktiven Dienst. Die aktive Dienstpflicht dauerte bei der Infanterie zwei Jahre. Danach wurde der Entlassene in die Reserve übernommen, wo er so lange verblieb, bis er – inkl. Dienstzeit – sieben Jahre Dienst geleistet hatte.
Eine Aufnahme aus Nikolaus’ aktiver Wehrdienstzeit. Er ist der zweite von links.
Nikolaus Geiger war Wehrmann in der 2. Kompanie des 138. Infanterieregiments. Als er 1914 eingezogen wurde, hatte er seine ursprüngliche Dienstzeit schon hinter sich und war jetzt in der Reserve („Landwehr 1. Aufgebot“). Auch er wusste, wie man mit seiner Knarre umgehen musste, wie man in Reih und Glied marschierte – und wo’s zur Kantine ging. Als ich zur Bundeswehr ging, war ich 18 (und kein Krieg in Sicht). Als Nikolaus eingezogen wurde, war er gerade 30 geworden, seit sechs Jahren verheiratet und hatte vier kleine Kinder zu Hause. Ob er freiwillig ging? Mit wehenden Fahnen und unter großem Jubel?
Die Männer zogen los, einem ungewissen Schicksal entgegen, und jeder wusste, dass einige von ihnen nicht zurückkommen würden, und die Frauen blieben zu Hause und mussten sehen, wie sie damit zurechtkommen, vor allem die, deren Männer nicht zurückkamen.
„Güblingen 3.8.14. Liebe Frau! Wohlgemut sendet dir und allen Angehörigen und Verwandten die besten Grüße dein dich liebender Mann. Bei uns steht noch alles gut, trotzdem wir dem Feinde so nah, bekommen wir doch keinen zu sehen. Gräme dich nicht allzusehr, wir sehen uns hoffentlich bald wieder. Besten Gruß! Dein Nikolaus“
Guéblange-les-Dieuz liegt ein paar Kilometer südlich von Dieuze, damals wie heute ein verschlafenes Nest, das nur aus einer einzigen langen Straße besteht. Nikolaus’ Einheit – das 138. Infanterieregiment – blieb bis zum 4. August im Grenzschutz. Kurz danach kam es zu ersten Gefechten mit französischen Truppen. Am 7. August lag das I. Bataillon in einem Waldstück bei Ommeray, etwa 10 km südlich von Dieuze.
„8. August 1914. Liebe Frau, Kinder und Schwager. Da ich Euch schon zweimal während meiner Abwesenheit mit Karten beglückt habe, will ich Euch heute – auf meinem Tornister im Walde sitzend – einige Zeilen mehr mitteilen.
Ich befinde mich Gott sei’s gedankt noch recht gesund und rüstig, was ich von Euch allen auch noch hoffe. Wir liegen hier und halten den Grenzschutz. Wie ich Euch schon mitgeteilt habe, bin ich, August Stabler und Jakob Stoll in einer Kompanie. Teile mir bitte einmal mit, wo wir unsererseits schon Siege gefochten haben, wir werden hier von der ganzen Welt nicht das Mindeste gewahr. Macht Euch weiter keine Sorge, denn es geht doch denselben Weg, den uns Gott beschert hat. Erziehet die Kinder gut und betet mit ihnen zu Gott, dass er uns wieder glücklich und gesund zusammenführen möge. Denn Christus sagte schon: Das Gebet der Kinder dringt durch die Wolken. Bis jetzt haben wir noch nichts mitgemacht, was Feindseligkeiten anbelangt. Besten Gruß. Nikolaus“
Am 10. August überquerte das Bataillon die deutsch-französische Grenze bei Avricourt und ging bei Lagarde in Stellung. Der Ort besteht aus einer langen geraden Straße, die über eine kleine Brücke bei einer Schleuse den Rhein-Marne-Kanal überquert. Diese Brücke zu nehmen und zu halten, war das Ziel des Gefechts am 10. und 11. August 1914.
Die Deutschen hatten den Ort am 10. besetzt, als sie spät abends durch französische Infanterie zum Rückzug gezwungen wurden. Sie gingen am 11. zum Gegenangriff über und eroberten die Stadt zurück. Es wurde ein langer Tag bei glühender Hitze. In Lagarde wurde die letzte schwere Kavallerieattacke überhaupt geritten. Völlig irre: Männer auf Pferden mit Lanzen gegen Infanterie mit Karabinern und Maschinengewehren. Die Verluste der bayerischen Ulanen waren entsprechend hoch:
16 Offiziere, 219 Mann, 304 Pferde, alle tot.
Auch Nikolaus’ Regiment hatte an beiden Tagen Verluste zu beklagen: 5 Offiziere und 59 Mannschaften fielen, die ersten Toten des Regiments. 6 Offiziere und 98 Mann wurden verwundet. Wie leicht, wie schwer, das lässt der Bericht aus. Und 38 Mann wurden vermisst.
Vermisst – das heißt: gefangen genommen? Versprengt? Auf dem Friedhof von Lagarde liegen 379 Gefallene, davon 72 in Einzelgräbern. An einem Ende liegt ein Massengrab, in dem die Gebeine von 307 Gefallenen ruhen. Nur ist der Platz viel zu klein für so viele Leichen. Hier ruhen die, die das Glück hatten, sofort tot gewesen zu sein. Maschinengewehre richten so etwas an oder Artillerie mit Schrapnellen. Hier liegen die fünf Offiziere und ein Großteil der 59 Mannschaften und vermutlich auch die Mehrzahl der 38 Vermissten. Ihre Namen stehen in kleinen Lettern auf großformatigen Metallplatten, etwa 10 in einer langen Reihe. Nikolaus war mitten drin, wurde beschossen und hat zurückgeschossen, hat feindliche Soldaten fallen sehen und mindestens vier Kameraden aus seiner Kompanie. Das hat ihn sicher verändert. Nachhause schrieb er „Macht Euch weiter keine Sorgen, denn für den eine Kugel bestimmt ist, den trifft sie doch. Nur Gottes Segen kann uns davor bewahren. Besten Gruß u. Kuss Dein dich ewig liebender Mann Nikolaus“. Ja, das hat ihn verändert.
Nach Lagarde kam das Regiment für ein paar Tage zum Ausruhen in Reserve. Am 15. August führte ein Divisionsbefehl sie weit zurück bis hinter Dieuze, ihren Ausgangspunkt. Die Männer, die die taktische Situation nicht kannten, gehorchten murrend. Was sie nicht wussten: Die Franzosen waren durchgebrochen und hatten die Frontlinie binnen weniger Tage gut 20 Kilometer nach Norden verschoben. Alle bisherigen Gefechte waren vergebens gewesen, alle Toten umsonst gestorben.
Etwa zehn Kilometer nördlich von Dieuze kam es am 20. August zu einer Schlacht mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das Regiment griff den kleinen Ort Biedesdorf an und verlor 201 Männer, davon 125 tot und 76 vermisst.
Trotz der hohen Verluste gewannen die Deutschen die Oberhand. Die Franzosen zogen sich bis Luneville zurück, dicht gefolgt und immer wieder attackiert von den deutschen Truppen. Diese Verfolgung dauerte bis zum 23. August, einem Sonntag. Nikolaus schrieb seinen letzten Brief nach Hause.
„Frankreich den 23.8.14 Liebe Frau! Habe Deine Karte u. auch Brief gestern erhalten. Bis jetzt ist das Kriegsspiel noch gut verlaufen und wird hoffentlich mit Gottes Hilfe doch auch weiter gutgehen. Bis jetzt haben wir 3 Gefechte mitgemacht. 2 bei Lagarde und 1 bei Biedesdorf. Die andern aus dem Dorfe leben noch alle. Beste Grüße Dein d. lb. Mann Gruß an Pappa u. Kinder“
Am nächsten Tag ging die Verfolgung weiter, das Regiment 138 vorneweg. Am 25. schlugen die Franzosen zurück, konnten sich aber nicht behaupten. Unter schweren Verlusten wurden sie von den deutschen Truppen zurückgeschlagen. Moyen, Magnieres und St. Pierremont wurden besetzt. Die Verluste des Regiments waren erheblich: 11 Tote, 206 Verwundete, 50 Vermisste.
Am nächsten Morgen um 3.20 Uhr in der Frühe versammelte sich die Division auf den Höhen von Magnières. Vor ihnen lag das Tal der Mortagne. Das Tagesziel war die Einnahme einer kleinen Ortschaft namens Deinvillers. Der Grund war vermutlich die Brücke über die Mortagne nahe des Bahnhofs. Major von Kalckreuth, Chef der 2. Kompanie, I. Bataillon, schreibt in seinem Gefechtsbericht:
Um 7 Uhr erfolgte der Vormarsch gegen Deinvillers. Auf dem Gefechtsfeld vom vergangenen Tage lagen noch eine Menge Toter umher, teilweise mit scheußlichen Verletzungen. Die Waldstücke hat der Feind geräumt, der Bahnhof wurde kampflos erreicht.
Für die Infanteristen sah das anders aus. Direkt dabei war ein Gefreiter namens Hans Schmidt: „Bei dem weiteren Vormarsch kamen wir an dem Bahngelände von Deinvillers vorbei, überquerten die Gleise und wurden von feindlichem Schrapnellfeuer empfangen. Nach links abschwenkend gelangten wir durch ein Wiesental in einen Wald. Vordringend bis zum Waldrand blieben wir in Gruppenkolonnen liegen. Das feindliche Artilleriefeuer wurde immer heftiger. Wir schwärmten aus und gelangten in das Dorf. In langen Sprüngen ging es weiter nach rechts zum Dorfausgang. Dort mussten wir über eine Brücke, die besonders stark unter Infanteriefeuer lag. Wir kamen in langen Sätzen hinüber. Am Dorfausgang stießen wir auf eine dichte Schützenlinie vom Regiment 97. Es kam der Befehl: Regiment geht vorläufig nicht weiter vor. Der Gefechtslärm flaute ab, bis Hauptmann Meißner befahl, weiter vorzugehen. Hinter einer Friedhofsmauer hervorspringend, erhielten wir starkes Flankenfeuer. Um besseres Schussfeld zu bekommen, lief ich ungefähr 80–100 m nach rechts auf eine Erhöhung. Der Gegner kam in unserem Feuer nicht vorwärts.
Das Regiment hatte 19 Tote, 222 Verwundete und 121 Vermisste zu beklagen. Andere Einheiten werden zum Blutzoll beigetragen haben, sodass weitaus mehr als 19 Deutsche gefallen sind. Die deutschen Truppen haben nach dem Kampf die Gefallenen eingesammelt. Jedenfalls die, die sie ad hoc finden konnten. Nicht gefunden wurden 121 Vermisste, zu denen auch mein Urgroßvater zählte. Oma Lisa erfuhr vom Verschwinden ihres Mannes offiziell nichts. Sie wird es geahnt haben, als nach dem Brief vom 23. August keine weiteren Nachrichten mehr eintrafen. Sein Name erscheint in der 36. Ausgabe der „Deutschen Verlustlisten“, veröffentlicht am 22. September 1914: „Wehrmann Nikolaus Geiger – Grügelborn, Kreis St. Wendel – vermisst“. In der Ausgabe des St. Wendeler Volksblattes vom 26. September 1914 erschien sein Name in der Verlustliste für den Kreis St. Wendel.
Was genau Oma Lisa unternommen hat, um etwas über das Schicksal ihres Mannes zu erfahren, kann ich nur erahnen. Ich kenne Briefe aus Amerika aus dem 2. Weltkrieg, die verzweifelte Eltern an die Regierung schrieben, um etwas über den Verbleib ihrer Söhne zu erfahren. Diese Briefe werden in den jeweiligen Personalakten der Regierung bis heute aufbewahrt. Aber die meisten Akten der deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges wurden während des Zweiten Weltkrieges in Berlin vernichtet.
Vor etlichen Jahren hat das Rote Kreuz seine Karteikarten aus dem 1. Weltkrieg eingescannt und recherchierbar ins Netz gestellt. Sie basieren auf Anfragen Dritter zu den genannten Personen und verweisen wiederum auf Militärakten, die aber in der Regel nicht mehr existieren. Eine Anfrage kam von Heinrich Born, einem Cousin mütterlicherseits meiner Oma Lisa. Er war Amtmann im Landratsamt St. Wendel. Doch der Suche des Roten Kreuzes war kein Erfolg beschieden. Nikolaus blieb verschwunden.
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sammelten die Franzosen die zahllosen Toten ein, die auf ihren Schlachtfeldern lagen. Bei Deinvillers fand man 12 Leichen. Sie kamen nach Bertrimoutier, wo 1921 ein deutsch-französischer Sammelfriedhof für alle Gefallenen im Umkreis von 40 km angelegt wurde. Zwischen den Weltkriegen übernahm der 1919 gegründete Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Pflege der nicht auf deutscher Erde liegenden Gräber, darunter auch den Friedhof von Bertrimoutier. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen sie ihre Tätigkeit auch dort wieder auf. Alle Toten wurden erfasst. Aber auf die Idee, die Angehörigen der Bestatteten zu informieren, kam niemand.
Dass Oma Lisa ab April 1920 eine Witwen- und Waisenrente bekommen hat, erfuhr ich 2002 vom Landesamt für Jugend, Soziales und Versorgung in Saarbrücken. Die eigentlichen Papiere wurden vor langer Zeit vernichtet, aber die Karteikarten mit den relevanten Einträgen sind vorhanden. Da Nikolaus bis heute vermisst ist und nie für tot erklärt wurde, wird das zuständige Amt den berühmten „kleinen Dienstweg“ genommen haben: Die Witwe stellte einen Antrag. Die Behörde fragte im Ordnungsamt in St. Wendel nach und erhielt die Bestätigung. Also zahlte man die Rente aus.
Die Rente wurde einige Male erhöht. Mit Erreichen der Volljährigkeit der Kinder fiel ihre Waisenrente weg. Der Grundbetrag lag 1956 bei 9.600 Franken monatlich, ergänzt um eine unregelmäßige Ergänzungsrente. Dann kam der Anschluss des Saargebiets an die Bundesrepublik Deutschland, bei dem u.
a. der Saarfranken an die D-Mark angepasst wurde: Aus 100 Franken wurden 85,07 Pfennig. Elisabeths Rente am 1. Juni 1959 betrug 18.324 Franken, am 1. August 1959 hatte sich der Betrag auf 133,84 DM „reduziert“. Als Elisabeth 1966 starb, stand der Betrag bei 162 DM pro Monat.
Was bleibt, ist ein Leben, das nach 30 Jahren abrupt und viel zu früh zu Ende ging. Seine Ehefrau überlebte Nikolaus um 52 Jahre, ehe sie 1966 mit 83 Jahren starb. Sein Vater Jakob wurde 86, seine Mutter Katharina 81. Und außer seinem jüngsten Sohn Erich, der im Alter von 29 in Russland fiel, erreichten auch seine Kinder ein hohes Alter:
Johanna wurde 74, mein Opa Walter 92 und Tante Trina 100 Jahre, 4 Monate und 12 Tage alt. Damit hätte er im August 1914 noch viele Jahre seines Lebens vor sich gehabt.
Aber wir werden nun einmal nicht gefragt. Denn es geht alles den Weg, den uns Gott beschert hat.