Die Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung

Über Depressionen reden, Chancen auf Therapieplätze und Heilung verbessern – „Mut-Tour“ startete in St. Wendel

Das Mut-Tour-Team für unsere Region, von links: Conny, Julia, Andrea, Gaby und Mona. (Der Smiley steht stellvertretend für alle, die nicht über ihre Depression sprechen können, z.B. aus Angst vor Mobbing oder beruflicher Benachteiligung.

St. Wendel. Wenn ich mir ein Bein breche, weiß ich was zu tun ist. Ich begebe mich in ärztliche Behandlung, das Bein wird vergipst und nach rund sechs Wochen Schonzeit dürfte es fast vollständig geheilt sein. Nicht so „einfach“ ist es bei einem psychischen Leiden. Wo kommt dieser innere Schmerz oder die Leere her? Warum fühle ich mich so traurig und warum geht es nicht weg? Erst einmal zu begreifen, dass einem etwas fehlt, dass es sich um eine psychische Erkrankung handeln könnte, kann für manche schon ein langer Weg sein und wenn man es begriffen hat, wird der Weg zur Heilung noch länger. An wen wende ich mich? Wer kann mir helfen? Welche Therapieform passt zu mir? Und wie kann ich die Symptome lindern? Fragen, die sich von Depressionen betroffene Menschen stellen. Die Suche nach den Antworten kann schwierig sein. Die „Mut-Tour“ will darauf aufmerksam machen, dass der Zugang zu Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen heutzutage noch mit vielen Hürden verbunden ist und fordert, dass dem Thema in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, damit sich die Chancen auf Therapieplätze und Heilung für Betroffene verbessern. Jedes Jahr wandert die Mut-Tour durch ganz Deutschland, um auf das Thema Depressionen aufmerksam zu machen. Gestern ist sie in St. Wendel gestartet.

Mut-Tour-Team macht Station in St. Wendel

Gemeinsam mit zwei Kaltblütern starteten die fünf Frauen, Mona, Conny, Andrea, Gaby und Julia in St. Wendel die diesjährige Mut-Tour. Sie kommen alle aus verschiedenen Bundesländern. Auf dem Schloßplatz war der Startpunkt, dort verweilten sie eine Stunde, tranken Kaffee und zogen wegen der zwei Pferde in ihrer Begleitung alle Blicke auf sich. Das wollen sie auch. Die Menschen sollen mitbekommen, dass sie unterwegs sind, sollen Fragen stellen, die sie gerne beantworten. Sie wollen auf ein wichtiges Thema aufmerksam machen, um Betroffenen und Angehörigen Betroffener zu helfen: Depressionen.

Heutzutage sei es schon leichter, darüber zu reden und Hilfe zu bekommen, als noch vor zehn oder 20 Jahren, erzählte Mona, sie läuft die Mut-Tour schon seit 2017 mit. Doch noch immer sei der Weg zum Arzt für viele mit Scham behaftet. Das müsse sich ändern. Sie ist selbst betroffen, nimmt Medikamente, um stabil zu bleiben. Heute geht es ihr gut damit, sie kann jetzt ein „waches“ Leben führen, wie sie sagte. Doch für viele andere ist es noch ein langer Weg dahin. Psychische Erkrankungen kann man nicht sehen, man sieht Betroffenen auch nicht unbedingt an, dass sie daran leiden, doch das Leid ist groß, für manche unerträglich. Es werde noch nicht genug darüber gesprochen und aufgeklärt. Sätze, wie „stell dich nicht so an“, „das wird schon wieder“, „beiß einfach mal die Zähne zusammen“, haben Erkrankte früher zuhauf gehört und obwohl Depressionen inzwischen eine anerkannte psychische Erkrankung sind, die nicht durch „Zähne zusammenbeißen“ einfach vorüberzieht, bekommen sie diese Sätze auch heute noch zu hören. Das kann Schamgefühle beim Betroffenen auslösen, was wiederum dazu führen kann, dass er sich noch weiter zurückzieht, sich niemandem mehr anvertrauen möchte.

Auch der Weg zum Therapeuten sei kein leichter. „Es ist nicht wie bei einem Beinbruch, wo man zum Arzt geht und alles gut wird“, sagte Conny. Auf Therapieplätze warte man im Schnitt sechs Monate und dann muss die Chemie zwischen Therapeuten und Patient passen. Immerhin wird man diesem Menschen unheimlich tiefe Einblicke in die eigene Vergangenheit, das Leben und die Persönlichkeit geben. Um sich so öffnen zu können, müssen bestimmte Grundvoraussetzungen gegeben sein. Als Tochter einer Betroffenen kennt Conny den Leidensweg, den Erkrankte und Familie zurücklegen. „Als ich 14 war, sagte mir meine Mutter, dass sie nicht mehr leben will“, offenbarte sie ihre eigene Erfahrung mit der Krankheit. „In den 70er, 80er Jahren konnte man sich keinem anvertrauen, wenn man als Kind depressive Eltern hatte.“ Jetzt findet sie, können und sollen sich Kinder und Jugendliche Rat und Hilfe zum Beispiel bei Verwandten oder Lehrer*innen holen. „Heute wird die Krankheit zum Glück ernster genommen“. Connys Mutter geht es besser, sagte sie. Seit 40 Jahren nehme sie Medikamente, die ihr helfen, stabil zu bleiben.

Das will die Mut-Tour bewegen

Mit einem Fingerzeig auf Missstände will die Mut-Tour Betroffenen und Angehörigen helfen, besser und schneller Hilfe zu finden und den Weg zur Heilung, zu einem „wacheren“ Leben beschreiten zu können. Sie fordert mehr Therapeuten, kürzere und schnellere Wege zur Hilfe und einen offenen Umgang mit dem Thema Depressionen. Sie sind eine ernstzunehmende Erkrankung, aber auch behandelbar. Ein angemessener Umgang mit dem Thema kann allen helfen.

Die fünf Frauen sind eines von 12 Teams, sie legen ca. 100 km gemeinsam zurück, bleiben unter sich, tauschen sich aus und nehmen an, was der Tag ihnen bietet. Bei der aktuellen Hitzewelle wissen sie zum Beispiel, dass sie kein warmes Essen bekommen, da sie die Tour über autark leben und grillen die einzige Möglichkeit wäre, sich etwas zu erwärmen. Sie stellen sich spontan auf alles ein, was kommt. Die zwei Pferde tragen ihr Gepäck, aber sie sind auch aufmerksame Begleiter. „Auf mich wirken sie sehr beruhigend, ich merke, dass es mir besser geht, wenn sie in meiner Nähe sind“, sagte Mona. Es sei zwar kein Therapieprojekt, aber die „Mut-Tour“ habe auch eine heilende Wirkung auf sie. Manche Strecken sind offen für alle, die mitlaufen wollen. Hier finden zahlreiche Menschen zusammen, wandern gemeinsam, können sich mit anderen Betroffenen austauschen. Auch für Angehörige ist es eine Wohltat für die Seele, in den Austausch zu gehen, zu wissen, dass sie nicht allein mit der Aufgabe sind, einem depressiven Menschen eine Stütze zu sein.

Hintergrund des Projekts

Die Mut-Tour wird seit 2012 jährlich durchgeführt. Zunächst handelte es sich um eine Radtour, seit 2016 wird gemeinsam gewandert. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Sebastian Burger. Hintergrund der Idee war es, Menschen mit und ohne Depressionserfahrungen zusammenzubringen in einen offenen Austausch zu kommen und die Öffentlichkeit auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Jährlich wandern mehrere Teams und Hunderte Menschen durch ganz Deutschland. Inzwischen erreichen sie durch die Medien mehrere Millionen Menschen. Dieses Jahr findet die Jubiläums-Mut-Tour vom 18.06. bis 10.09.22 statt. Der Trägerverein der Mut-Tour ist der Mut fördern Verein e.V.. Er bietet Unterstützungen zu Selbsthilfe wie den Mut-Atlas und bewegungsorientierte Mut-Gruppen an. Der Mut-Atlas feindet sich noch in der Beta-Test-Phase. Er soll Betroffenen künftig auf einer Karte Stellen zeigen, an denen sie sich Hilfe holen können, wie Therapeuten, Selbsthilfegruppen und weitere Angebote.

Depressionen und ihre Symptome

Depressionen können schleichend beginnen und mit einem Mal fühlt man sich von ihnen erschlagen. Zu den häufigsten Symptomen gehören Innere Leere, Selbstzweifel, Energieverlust und Ängste. Dinge, die einem zuvor leichtgefallen sind, sind plötzlich nicht mehr möglich und auch Freude kann nicht mehr empfunden werden. In schweren Fällen kommen Selbstmordgedanken und auch -versuche hinzu. Eine Depression kann sich auch mit körperlichen Symptomen bemerkbar machen, so können auch Rücken- und Kopfschmerzen und auch Tinnitus dazugehören. Jeder hat mal ein Tief, aber eine Depression ist daran erkennbar, dass die Symptome über längere Zeiträume anhalten und der oder die Betroffene es nicht aus eigener Kraft oder mit bloßem Willen schafft, wieder aus dem emotionalen Tief herauszukommen. Der Betroffene kann sich nicht einfach zusammenreißen, bis es wieder gut wird. Oft liegen Ursachen vor, die es mit einem Therapeuten zu ergründen und zu verarbeiten gilt. Depressionen sind behandelbar. Der Weg zur Heilung bedeutet viel Arbeit und Geduld mit sich selbst und seiner Situation.

Hier bekommen Sie Hilfe, wenn Sie an Depressionen leiden oder jemandem helfen wollen, der daran erkrankt ist – in akuten Fällen begeben Sie sich in ein Krankenhaus

www.mut-tour.de

Foren:

Regionale Anlaufstellen für St Wendel, Steinberg-Deckenhardt, Walhausen, Nohfelden:

Gesundheitsamt Regionalverband

Saarbrücken
Stengelstr. 10-12
66117 Saarbrücken
0681 506-5362
Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland
Futterstraße27
66111 Saarbrücken
0681 403 1067 0. 0159 01711163

Caritasverband Schaumberg-Blies e. V.
DOM Galerie Luisenstraße 2-14 2-14
66606 St. Wendel
06851 93560

Marienhaus Klinikum St. Wendel-Ottweiler
Am Hirschberg 1a
66606 St. Wendel
06851 59 – 01

Kreisverwaltung – Gesundheitsamt
Mommstraße21-31
66606 St. Wendel
06851 801 0

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