„Der Tisch für Flüchtlinge muss von Wohlhabenden gedeckt werden“ – Interview mit Heike Kugler von „Die Linke“

Das St. Wendeler Land gilt als ein konservativer Landstrich. Aber die Region hat auch einen historischen Bezug zu linken politischen Strömungen. So hat beispielweise der Philosoph Karl Marx, der als ein ideologischer Wegbereiter des Sozialismus gilt, in St. Wendel gewirkt. Er soll gar eine Liebesbeziehung mit der St. Wendelerin „Lenchen“ Demuth gehabt haben. Auch heute ist „Die Linke“ im Landkreis präsent. Die Partei ist in der Fläche aktiv und hat zehn Verbände vor Ort. Bei den Kreistagswahlen im Juni 2014 erreichte sie 4,5 Prozent der Stimmen und stellt mit dem Unternehmer Christof Falkenhorst ein Mitglied des Gremiums. Weiterhin ist sie in einigen Gemeinderäten und im St. Wendeler Stadtrat vertreten. wndn.de sprach mit der Landtagsabgeordneten und Kreisvorsitzenden Heike Kugler über ihre Partei, das St. Wendeler Land und die Politik der „Linken“.

wndn.de: „Die Flüchtlingskrise beherrscht derzeit die Berichterstattung in den Medien. Was sagen Sie Menschen, die Angst vor der großen Zahl der Asylsuchenden haben?“

Heike Kugler: „Nicht die Zahl der Flüchtlinge ist das Problem, sondern ob wir es schaffen, diese Menschen zu integrieren. Ein Problem entsteht erst, wenn der Flüchtlingsstrom ungebremst so weiter geht. Die Integration, die fast ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis bewältigt wird, ist auf Dauer so nicht zu schaffen. Wir brauchen Menschen, die sich hauptamtlich mit der Integration befassen und Flüchtlinge begleiten. Dies muss vom Bund ausreichend finanziert werden, denn Flüchtlingspolitik ist Bundesangelegenheit.“

wndn.de: „Viele befürchten auch einen Verteilungskampf zwischen sozial schwachen Deutschen und Flüchtlingen. Wie bewerten Sie dies?“

Heike Kugler: „Wenn hier nicht durch die Bundesregierung gegengesteuert wird, wird dieses Problem mit Sicherheit kommen. Daher fordert meine Partei DIE LINKE, dass der Tisch für die Flüchtlinge von den Wohlhabenden in unserer Gesellschaft gedeckt werden muss. Das heißt, dass wir Millionenvermögen besteuern, eine Erbschaftssteuer auf große Vermögen einführen und vor allem hohe Einkommen besteuern. Was unter keinen Umständen passieren darf ist, dass die Flüchtlinge nun auch aus dem Hartz IV –Topf bezahlt werden, ohne dass dieser entsprechend aufgestockt wird, denn bereits heute haben wir viel zu wenig echte Eingliederungsmöglichkeiten oder Umschulungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose.“

wndn.de: „Sie sind seit dem Jahr 2009 Mitglied des Landtages. Wie halten Sie Kontakt zur kommunalpolitischen Basis?“

Heike Kugler: „Ich bin 2014 in den Gemeinderat in Nohfelden gewählt worden. Dort habe ich auch schon Anträge eingebracht. Zum einen den Antrag, der sich mit den Handelsabkommen TTIP, TISA und CETA befasst, die sich natürlich auch auf unsere Gemeinden auswirken werden. Schon heute müssen öffentliche Verträge zum Teil europaweit ausgeschrieben werden, daher fährt die „Vlexx“ einen Teil der Nahverkehrsverbindungen zwischen Saarbrücken, Türkismühle und Frankfurt. Wie viel mehr wird sich verändern, wenn nicht überall unsere gewachsenen Standards im Arbeitsrecht oder Verbraucherschutz gelten? Hier muss mit offenen Karten gespielt werden. Auch die Einführung einer Tourismus-App für Handys haben wir gefordert. Sie ist auf Kreisebene angedacht, würde in der Form aber nicht die Attraktivität bringen, die sie als ständig aktualisierte App mit Großveranstaltungen, wie dem Bostalseefest, aber auch einem eingespeisten Kino-Programm, Veranstaltungskalender (auch der Vereine), Gottesdienste oder auch Öffnungszeiten von Arzt-Praxen bis hin zu Apotheken oder Notfallnummern haben könnte.“

wndn.de: „Was waren für Sie die wichtigsten Themen der letzten Monate bei ihrer parlamentarischen Arbeit im Landtag?“

Heike Kugler: „Der Bereich Armut und der Bereich Flüchtlinge sind zurzeit in unserem Saarland von großer Bedeutung. Wir haben im Oktober letzten Jahres zum ersten Mal einen Armuts- und Reichtumsbericht von der Landesregierung vorgelegt bekommen. Dieser zeigt, dass auch in unserem Bundesland die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht. Wir haben insbesondere in Familien mit Alleinerziehenden ein besonders großes Armutsrisiko. Im Regionalverband Saarbrücken lebt inzwischen jedes vierte Kind in armen Verhältnissen. Für sehr problematisch halte ich auch die Entwicklung bei den Seniorinnen und Senioren. Wir haben eine stark zunehmende Zahl von armen Menschen im Rentenalter. Dies gilt insbesondere für Frauen, das ist gemeint, wenn jemand sagt: „Altersarmut ist überwiegend weiblich“. Viele unserer Seniorinnen und Senioren schämen sich, die ihnen zustehenden Gelder oder Hilfen zu beantragen. Daher ist die verdeckte Altersarmut vermutlich wesentlich höher.“

wndn.de: „Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die größten Herausforderungen, vor denen der Landkreis steht?“

Heike Kugler: „In unserem Landkreis macht sich der sogenannte „demographische Wandel“, das hohe Durchschnittsalter deutlich bemerkbar. Junge Menschen gründen Familien nicht unbedingt dort, wo der Arbeitsplatz und kulturelle Angebote nur mit dem Auto erreicht werden können. Wenn wir unsere dörflichen Strukturen weiterhin lebendig und vielfältig erhalten wollen, so brauchen wir verkehrstechnisch eine ganz andere Ausrichtung. Der öffentliche Personennahverkehr, also Bus und Bahn muss wesentlich besser durchstrukturiert werden, zumal die Kosten in keinerlei Verhältnis mehr zu den Leistungen stehen. Wenn wir Familien auf dem Land halten wollen, brauchen wir einen Bahn- und Busbetrieb, der es erlaubt, dass die Kinder in Kita und Schule kommen und die Eltern auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln ebenfalls den Arbeitsplatz erreichen. Das ist derzeit in unserem Bundesland, erst recht in unserem Landkreis undenkbar. Bei uns braucht man ein Auto! Aber wie absurd die Verhältnisse sind, sieht man daran, dass eine Zugfahrkarte für einen Erwachsenen von Türkismühle nach Saarbrücken und zurück fast zwanzig Euro kostet. Wenn dann noch jemand ein benachbartes Dorf mit dem Bus erreichen muss, so braucht man schon einen gut bezahlten Job um sich so etwas leisten zu können. Oder versuchen Sie mal mit einer Familie am Wochenende mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Tierpark in Freisen zu besuchen. Da kann man in unserem Kreis sein blaues Wunder erleben. Ein attraktiver Kreis sieht da ganz anders aus!“

wndn.de: „Was hätte man aus Ihrer Sicht im Landkreis in der letzten Zeit besser machen können?“

Heike Kugler: „Gerade beim Personennahverkehr hätte das derzeitige Konzept überarbeitet werden müssen. Wir brauchen auch ein Tourismuskonzept, denn wenn wir diesen Bereich in Zukunft als Standbein ausbauen wollen, so kann nicht jede Gemeinde alleine gelassen werden. Wir haben viele verschiedene attraktive Angebote für viele verschiedene Interessen, diese könnten besser weiterentwickelt und ausgebaut werden.“

wndn.de: „Wie ist Ihre Partei im St. Wendeler Land aufgestellt?“

Heike Kugler: „Wir sind mit der letzten Kommunalwahl wiederholt in viele Gemeinderäte eingezogen. Ich denke, dass sich unsere Arbeit sehen lassen kann. Unsere Wähler haben vermutlich festgestellt, dass wir soziale Politik nicht nur fordern, sondern sie auch umzusetzen versuchen. Daran müssen wir weiter arbeiten.“

wndn.de: „Warum sollte man sich Ihrer Meinung nach als Bürgerin oder Bürger bei den „Linken“ engagieren?“

Heike Kugler: „In unserem Land geht es nicht mehr sozial gerecht zu. Wenn jemand vierzig Stunden in der Woche arbeitet, muss er genug verdienen, dass er von dem Geld gut leben kann. An unserem Sozialsystem müssen sich alle Menschen in unserer Gesellschaft beteiligen. Starke Schultern müssen mehr leisten als schwache Schultern. Wir versuchen dies umzusetzen und dabei können wir noch tatkräftige Unterstützung und gute Ideen brauchen.“

wndn.de: „Vielen Dank für das Interview!“

 

Zur Person: 

Heike Kugler wurde 1962 in Marpingen geboren und ist studierte Lehrerin für Grund- und Hauptschulen. Sie wohnt in Nohfelden, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit dem Jahr 2009 ist sie Mitglied des Saarländischen Landtages. Dort ist sie Vorsitzende vom Eingabenausschuss und kümmert sie sich insbesondere um sozialpolitische Fragen.

 

Im Netz: www.dielinke-stwendel.de

 

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